Reisebericht

Bericht von Dr. Dr. med. Rassoul Faki, der im November 2014 in das nordsyrische Rojava reiste.

Seit mehr als drei Jahren ist Krieg in Syrien. Mehr als 200.000 Menschen sind in diesem Bürgerkrieg ermordet worden und etwa die Hälfte der Bevölkerung in Syrien ist geflüchtet. Seit zwei Jahren werden die kurdischen Gebiete im Norden Syriens von den radikalen Islamisten der 'Islamischen Staat' immer wieder attackiert. Seit Wochen wird die Stadt Kobane belagert, angegriffen und beschossen. Die Bevölkerung Kobanes und des Umlandes sind vor den Gräueltaten des 'IS' geflüchtet.

Aus diesem Anlass haben wir, eine Ärztin und ein Arzt, eine Reise in das umkämpfte Gebiet gemacht. Selber stammen wir aus kurdischen Gebieten. Aus dem in Syrien gelegenen Rojava und aus Barzan im irakischen Kurdistan. In Barzan wurde der legendäre Kurdenführer Mulla Mustafa Barzani geboren und man sagt, dass die dort geborenen Menschen wie Löwen seien.

Am 14.11.2014 nahmen wir den Flug von Berlin-Tegel nach Adana. Unsere Taschen waren voller Winterkleidung für Kinder. Am Flughafen Adana wurden wir von Freunden abgeholt und in Richtung Islahye gefahren. Hier haben wir bei unserem Freund Sherzad übernachtet. Am nächsten Tag sind wir mit unserem Freund Sherzad in Richtung Suruc (kurdisch: Persus) ca. 250 km auf türkischer Seite in der Nähe der Grenze zu Syrien gefahren. Suruc liegt Gegenüber Kobanee und sehr viele Flüchtlinge sind dort unter gekommen. Auf unserer Fahrt trafen wir immer wieder auf Flüchtlinge, die in den Feldern und in einfachen, aus Plastikfolien errichteten und provisorisch eingerichteten Unterständen hausen . Sherzad erzählte uns während der Fahrt, dass überall in den Dörfern und in der Umgebung von Gaziantep (Antep) bis Schanliurfa (Ruha) die Flüchtlinge von kurdischen Bewohnern aufgenommen worden sind. Mehrere 100 Familien haben auf diese Weise Unterkunft gefunden.

Wir sind am offiziellen Grenzübergang Kalka Misch/ Jarablous vorbei gefahren. Auf der syrischen Seite kontrollieren Einheiten des 'IS' den Grenzposten. Ein vermutlich von der Türkei modern eingerichtetes Krankenhaus dient der Versorgung von verletzten 'IS' Kämpfern. Bis zur Errichtung dieses Krankenhauses wurden 'IS' Kämpfer in türkischen Krankenhäusern behandelt.

In der Umgebung der Stadt Suruc (Persus) trafen wir mehrere kleine Flüchtlingslager mit einfachen, provisorischen blauen Zelten an. Die Flüchtlinge halten sich hier nur für kurze Zeit auf, um nach den Strapazen der Flucht etwas zu Kräften zu kommen. In der Stadt selbst sind mehrere Flüchtlingslagern errichtet worden, die bereits überfüllt sind. In diesen Lagern sind ca. 20.000 Flüchtlinge untergebracht. Familien bis 15-20 Personen schlafen in einem Zelt von maximal 20 qm.

Die Flüchtlingslager sind mit einfachen sanitären Einlagen und ausschließlich kaltem Wasser ausgestattet . Diese Menschen sind auf die Hilfe der Einwohner und der lokalen Behörden angewiesen. Es ist oft zu hören, dass keine Hilfe aus Ankara gekommen ist. Nach einem Treffen mit den lokalen Behörden wurden wir als Ärzte gebeten, in einer der für die Flüchtlinge eingerichteten Krankenambulanzen zu helfen. Bei der ersten Untersuchungen von Kranken ist uns klar geworden, dass die katastrophalen hygienischen Zustände und die Kälte in Verbindung mit einer mangelhaften Ernährung die Ursache vieler Erkrankungen sind. Haut und Infektionskrankheiten, Krätze, Läusebefall und ähnliches mussten wir feststellen. Bei kleinen Kindern behandelten wir vor allem Erkältungskrankheiten. Natürlich fehlen zur Behandlung dieser Fälle von Krankheiten die notwendigen Arzneien. Am nächsten Tag konnten wir im Medikamentendepot doch noch die entsprechende Mittel beschaffen, so dass wir die nächsten 2 Tage einigermaßen medizinisch und medikamentös helfen konnten.

In dieser Zeit sind wir mehrfach zur türkisch-syrische Grenze (Rojava-Kobane) gefahren. Unweit der Grenze hört man ständig die Feuergefechte. Aus der Stadt steigt ständig hier und da schwarzer Rauch in den Himmel. Eines Nachts sind wir auf Anraten von Freunden zur Grenze gefahren. Nicht einmal zu dieser Zeit hörten die Gefechte auf. Ca. 200 Meter von der Grenze entfernt steht eine Moschee. In deren Hof versammelten sich Anwohner aus der Gegend um wachen zu halten. Sie gingen auf Patrouillen und suchten nach 'IS'-Rückkehrern, die auf der Flucht in die Türkei sind. Diese verhafteten sie, um sie später den kurdischen Asayes (Kurdische Sicherheitskräfte) in Rojava zu übergeben. Wir haben hier auch viele Junge Kurden gesehen, die in Richtung Grenze gelaufen sind und von den türkischen Soldaten zurück gedrängt wurden.

Am 4. Tag der Reise haben wir gemeinsam entschieden den Versuch zu unternehmen, nach Afrin zu reisen. Dieser Ort liegt im äußersten Nord-Westen Syriens und ist eines von drei selbstverwalteten Kantonen in Rojava. Um dorthin zu gelangen, mussten wir 'illegal' über die Grenze gelangen. Da wir nur deutsche Ausweise besitzen, lassen uns die türkischen Behörden nicht legal über den Grenzübergang Killis –Azaz nach Syrien reisen. Ich musste wegen einer sehr wichtigen Angelegenheit nach Afrin reisen, um für ein wichtiges Projekt Informationen bei der entsprechen Behörde Kanton Afrin einzuholen. Ich bat meine Kollegin in der Türkei zubleiben, bis ich in 2 Tagen wieder kommen würde. Sie sagte, dass sie mich nie alleine reisen lassen würde. Wir seien zusammen hier und wir würden bis zum Schluss auch zusammen bleiben, komme da was wolle.

Auf dem Rückweg von Suruc zeigte sich das gleiche Elend der Flüchtlinge. Überall kleine Gruppen von 4 bis 10 Zelten am Straßenrand und viele Kinder, die um den Zelte spielten. Nach entsprechenden Recherchen durch unseren bekannten und Begleiter Sherzad, konnten wir am selben Tag in der abendlichen Dämmerung einen Versuch unternehmen, über die Grenzanlagen an einem bestimmten Grenzabschnitt nach Afrin in Rojava zu gelangen.

Dort angekommen sagte uns unser Wegweiser, der höchstwahrscheinlich ein Schmuggler war, dass in den letzten Monaten verstärkte Kontrollen und intensivere Überwachung des Grenzstreifens durch die türkischen Soldaten durchgeführt wurden. Dabei sagte man uns, dass wir bitte nur ein kleines Gepäckstück ohne Wertsachen mitnehmen sollten. Anschließend sind wir in einem Traktoranhänger eingestiegen und durch die Olivenhaine langsam in Richtung der türkisch-syrischen Grenze gefahren. Man hat uns zuvor ganz genau erklärt, wie die Aktion ablaufen sollte. Es ist gerade Olivenernte und viele Bauer sind beim Arbeiten. Wir sollten in der Erntezeit auf dem Anhänger nicht weiter auffallen. Der Traktoranhänger war zudem mit vollen Säcken beladen. Wir kamen den hohen Grenztürmen mit den türkischen Soldaten immer näher. Nach etwa 3km sind wir ausgestiegen und weiter zu Fuß gelaufen. Nach weiteren 500 m, als wir mit unserer Begleitung an der Nähe der Grenze durch das Gebüsch ruhig voran gingen, machte uns der Wegführer ein Zeichen, dass wir hier hinter einem Gebüsch warten sollten. Er ging ca. 50 m weiter. Wir hörten Laute in türkischer Sprache, wahrscheinlich von türkischen Soldaten. Die Worte wurde immer lauter und gingen in eine lebhafte Diskussion mit unserem Wegweiser über. Der Stimme nach zu urteilen hieß es „nein“ und wir sollen sofort wieder zurückkehren.

Unser Wegführer kam zurück und winkte uns, wir sollten mit zurück kommen. Nach 200-300m hielten wir und er sagte uns, dass diese Patrouille uns nicht durch lässt. In ca. 3 Stunden würde einen Wechsel der Soldaten vorgenommen und bei der Gelegenheit können wir mit ziemlicher Sicherheit über die Grenze. Also warteten wir. Die Sonne ging unter und es wurde langsam dunkel und feucht-kalt. Wir waren nur leicht bekleidet und für solche Aktionen nicht gut vorbereitet. Wir mussten uns ruhig halten und durften kein Licht oder Feuerzeuge anzünden. Vor allem mussten wir die Handys ausschalten.

Gegen 20 Uhr fuhr den Scheinwerfern nach zu urteilen ein Armeelastwagen entlang der Grenze in östlicher Richtung auf der türkischen Seite. Alle 300-500m wurden Soldaten abgelöst. Als der Wagen zurück fuhr und weiter in Richtung Westen fuhr, sagte uns der Begleiter, dass wir in 5 Minuten über die Grenze könnten. Unser Wegweiser ging voran und wir langsam im Dunkeln in Richtung Grenzstreifen hinterher.

An dem Grenzstreifen angekommen, musste dann alles sehr schnell gehen. Sogar die Soldaten sprachen uns in Kurdisch an und machten uns sogar etwas Licht, denn es waren einige bis zu 2m tiefe Gräben mit weichen Böden zu überwinden. Ich und auch die anderen fielen oft in den Gräben hin. Es ging weiter von Graben zu Graben. Als wir den letzten Graben hochgestiegen waren, sagte unser Wegweiser an einer Stelle mit herunter gedrücktem Stacheldraht, dass wir ab jetzt allein weiter müssten. Wir waren bereits auf syrischem Boden, also in Rojava. Wir sollten weiterhin ruhig laufen und noch kein Licht anmachen. Nach weiteren 500m Fußmarsch im dunkeln hielten wir und schauten uns um, ob ein jemanden auf uns wartete. Nach 2-3 Minuten hörten wir ein Motorgeräusch. Ein Auto hielt an. Das war ein kleiner offener Transporter mit dem wir fuhren. Wir sind dann querfeldein etwa 15 Minuten den Berg hochgefahren. Man hatte das Gefühl, dass das Auto jeden Moment umkippen würde. Wir mussten oft unsere Plätze wechseln um mit dem Fahrzeug die Balance zu halten. Wir kamen in einem schwach beleuchteten Haus vorbei, in dem früher die syrischen Grenzposten gewohnt hatten. Jetzt sind die Kurdischen Asays (Sicherheitskräfte) die neuen Bewohner des Hauses.

Es ist sehr einfach eingerichtet: ein Büro, ein Aufenthalts- und Schlafraum, ein kleines Bad und eine kleine Küche. Im Ofen brannte bereits ein Feuer, an dem wir uns erst einmal aufwärmen konnten. Wir bekamen Tee zu Trinken. Ein Wachmann und ein andere Mann schliefen für die Nachtschicht. Hier konnten wir uns erst einmal erkundigen, wo wir uns genau befanden. Nach einigen Telefonaten gelang es uns, eine Art Taxi zu mieten. Der Fahrer brachte uns nach etwa 30 Minuten Autofahrt zum nächstwohnenden Freund. Als wir dort ankamen, wartete bereits der Hauswirt am Gartentor. Hier konnten wir uns satt essen und nach einem oder zwei Gläschen Arak konnten wir die bisherige Strapazen vergessen und anschließend gut schlafen. Am nächsten Morgen, nach einem kurdischen Frühstück, konnten wir weiter nach Afrin (die Hauptstadt dieser bergigen Kurdenregion) fahren. Unterwegs konnte ich per Telefon bereits mit der Selbstverwaltungsbehörde ein Treffen für 10:00 Uhr verabreden.

Unterwegs auf der Straßen konnten wir feststellen, dass die Hauptstraße, die Aleppo mit Afrin verbindet, sehr schlecht befahrbar ist, da überall Schlaglöcher sind. Auch die übrigen Straßen waren in schlechtem Zustand. Unser Freund sagte uns, die Ausbesserung der Straßen werden nur mit Beton vorgenommen, weil es kein Teer gibt.

Die Straßen sind voll mit Autos und es gibt erstaunlich wenig Unfälle, erzählte man uns. Viele Lastwagen fahren in beiden Richtungen. Auf beiden Straßenseiten sind viele kleine und größere Firmen und Werkstätten ansässig. Man hat das Gefühl, hier sei alles in Ordnung. Obwohl hier seit über zwei Jahren eine nahezu vollständige Blockade der Region herrscht. Die Region um Afrin wird entlang der Grenze zur Türkei vom türkischen Militär abgeriegelt. An den anderen 'Grenzen' steht die sogenannte Alnusrafront (Eine Abspaltung des Alkaida-Netzwerkes) und die Truppen des syrischen Regimes. Der große Vorteil der Region Afrin ist, dass fast ausschließlich landwirtschaftlich genutzt wird. Das hat sich mir der Isolation des Gebietes noch verstärkt. Man sagte uns, dass diese Blockade dazu geführt hat, dass die Landwirte und Agrarexperten der Region sich von der früheren Monokultur der Landwirtschaft (Olivenhaine) verabschiedet haben und heute 4 mal jährlich ernten können. Ein Bauer erzählt uns, dass sie trotz der der hohen Zahl von Flüchtlingen von ca. 500.000 aus Aleppo und Umgebung, sie nie hungern werden. Im Gebiet Afrin leben ca. 1.5 Millionen Menschen, darunter schätzungsweise etwa 500.000 bis 600.000 Flüchtlinge. Die Menschen sagen, dass sie alles haben, was sie zum Überleben brauchen. Dennoch fehlen wichtige Dinge wie beispielsweise Elektrizität, Medikamente, Babynahrung (Milch) und Dinge für die Erhaltung und Reparatur der Infrastruktur.

Um 10:00 Uhr trafen wir in dem Gebäude der Selbstverwaltungsbehörde ein. Wir konnten zwei Treffen in der kurzen Zeit organisieren. Eines mit der Behörde für Elektrizität und Bodenschätze. Es ging um Einzelheiten und Informationen aus erster Hand über ein Projekt für die Versorgung der Region mit Strom. Mit Hilfe von Freunden in Deutschland versuchen wir dieses Vorhaben zu finanzieren. Das zweite Treffen war mit der Leitung der Post- und Telekommunikationsbehörde. Nach entsprechenden Sitzungen und Beschaffung von speziellen Informationen sind wir dann zu Hauptstromstation bei Afrin gefahren. Hier haben wir entsprechende Fotos und weitere Informationen über den Zustand dnlagen und Gebäude erhalten.

Für die uns verbleibende Zeit haben wir uns für eine kurze Fahrt quer durch die Region Afrin entschieden. Wir wollten die Gegend etwas näher ansehen. Am Späten Nachmittag sind wir zu dem Dorf meiner Vorfahren gefahren. Dort haben wir meine gesamte Verwandtschaft getroffen.

An diesem Abend trafen wir auch eine wichtige Persönlichkeit der Region, um unsere Rückkehr zu planen und zu organisieren. Denn wir mussten in 1,5 Tagen um 11.00 Uhr bereits am Flughafen von Adana sein. Bis dahin war es noch ein weiter Weg. Vor allem, da die Route des Rückweges noch nicht bekannt war. Dies sollte anhand der aktuellen Situation an den einzelnen Grenzstreifen vor Ort erkundet werden. Wir wussten noch nicht, dass unser Rückweg viel gefährlicher als der Hinweg werden sollte.

Noch in der Nacht fing es stark zu regnen an und es wurde kälter. Am Morgen ließ der Regen nach. Wir haben am Vormittag des letzten Tages während unseres Aufenthaltes in der Region Afrin beim Frühstück erfahren, dass wir durch einen Anruf die Einzelheiten über unsere Route erfahren würden. Es hieß, wir sollten uns gegen 15:00 Uhr bereit halten, damit wir noch im Hellen die Grenze passieren könnten. Wir sollten zu einem Dorf fahren und uns beim Dorfvorsteher melden. Er würde alles weitere veranlassen. Er wäre noch gestern Abend über unsere Rückreise informiert worden.

Als wir uns auf die Rückreise am Nachmittag vorbereiteten, fing es erneut stark an zu regnen. Unsere Bekannten erzählten uns, dass es seit Monaten nicht so geregnet hätte. Für die Landwirtschaft ist der Regen vor dem Winter gerade richtig. Für unsere Route ist der Regen allerdings katastrophal, was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten.

An dem Ort des Treffens angekommen, mussten wir etwa 30 Minuten warten, bis alle Vorbereitungen abgeschlossen waren. Unser Wegweiser kam und wir sind in eine einem Auto ähnliche Maschine eingestiegen. Zuerst fuhren wir durch das Dorf und durch einem Schlammweg, wo das Fahrzeug große Mühe hatte, durch den Lehm voran zu kommen. Es wurde langsam dämmerig. Wir stiegen am Rande eines Olivenhaines aus und mussten im Dunkeln und ohne Licht durch den lehmigen Boden im Schritttempo laufen. Jeder Schuh wog durch den klebrigen Lehm gefühlt mindestens 10 kg. Man ist kaum vorwärts gekommen. Wir mussten alle paar Schritte anhalten und die Schuhe von dem Lehm befreien. Als wir endlich den Hain verlassen hatten, mussten wir kurz halten. Wir wurden durch den Wegweiser informiert, dass wir jetzt ganz leise sein müssten und durch einen buschigen Abhang runter laufen müssten. Um nicht zu rutschen, müssten wir uns an die Sträuchern festhalten. Er sagte uns noch, dass wir immer genau hinter ihm in seiner Spur bleiben sollten. Auf keinen Fall sollten wir davon abweichen, denn diese Gegend sei vermient und wir dürften den Pfad nicht verlassen. Ich erinnere mich nicht genau, wie oft wir hingefallen sind und wie lange wir den Hang hinunter rutschen mussten. Mehrmals sind wir alle sehr unangenehm gestürzt. Mir kam es vor, als ob wir seit Ewigkeiten unterwegs gewesen waren. Ab und zu mussten wir halten, da unser Wegweiser mit Zigarettenschmugglern, die auch unterwegs waren, sprach. Diese Schmuggler rieten unserem Wegweiser später, besser zurück zu kehren, da unten im Tal die Soldaten hin und her patroulieren und die Grenze genau kontrollieren würden. Natürlich haben wir nicht auf sie gehört. Stattdessen sind wir zügig weiter den Abhang hinunter gerutscht, damit wir ja auf die Spur bleiben und noch am selben Tag über die Grenze gelangen würden.

Als wir endlich unten ankamen und den Grenzstreifen mit den Beleuchtungsmasten sahen, versteckten wir uns hinter einem Busch. Unser Wegführer sagte, er glaube wir müssten wieder zurückkehren. Heute sei es nicht möglich über die Grenze zu gelangen. Wir wollten auf gar keinen Fall zurück gehen. Wir konnten genau den Grenzstreifen sehen. Er bestand aus 2 Streifen von je ca. 10 Meter breite. Entlang dieser Streifen war Stacheldraht. In der Mitte zwischen den Beiden Streifen stehen Büsche. Wir sind gemeinsam hintereinander über den Stacheldrahtzaun gelaufen, der etwas herruntergedrückt war. Ich bin mit meiner Hose an dem Stacheldraht hängen geblieben. Ich konnte mich mit Hilfe schnell befreien und schnell hinter den Anderen zum Mittelstreifen laufen. Wir versteckten uns hinter einem Busch. Genau in diesem Moment hörten wir Soldaten und deren Stimmen immer näher kommen. Nach mehreren Sekunden wurde ein Lichtstrahl auf uns gerichtet. Unser Begleiter stand auf sprach sofort mit den Soldaten auf türkisch. In dem gleichen Moment standen wir auch auf und mussten unsere Hände hochheben. Es waren zwei Soldaten. Der eine versuchte uns durch Luftschüsse Angst zu machen. Als wir die Situation einschätzen konnten, haben wir unsere Hände herrunter genommen. Wir sind ganz ruhig geblieben und baten um Erlaubnis und Verständnis dafür, über die Grenze gehen zu dürfen, damit wir unsere Verwandten in Syrien besuchen dürften. (Wir haben absichtlich die falsche Richtung genannt, damit die Soldaten uns in Richtung Türkei 'zurück' schicken würden). Man hatte uns vorher gesagt, dass wenn wir uns im Niemandslands befinden sollten, dass wir die falsche Richtung sagen sollten. Der eine türkische Soldat sagte, dass das nicht stimmen würde. Wir kämen aus Syrien und wollten in die Türkei. Sie wüssten Bescheid, denn hier sind an den Masten seien überall Kameras installiert. Ich wollte mein Pass zeigen, aber sie wollten keine Papiere sehen. Wir müssten zurück. Ich habe durch unseren Begleiter sagen lassen, dass wir auf gar keinen Fall zurückkehren würden. Er möchte bitte seinen Chef benachrichtigen oder uns verhaften. Uns verhaften wollten sie auch nicht und nach weitere 10 Minuten hörten wir ein Armee Jeep kommen, der 30m vor uns hielt. Aus dem Wagen stieg ein mittelgroßer Mann von vielleicht 30 Jahren. Er fing gleich an auf türkisch laut und ununterbrochen zu schimpfen. Es hörte sich nicht gut an. Es war leider nichts zu erreichen und wir mussten zurückkehren. Ich mochte nicht daran denken, bei diesem Wetter den Berg wieder hoch zu steigen, für dessen Abstieg wir mindestens 1 Stunde gebraucht hatten. In dem Moment bemerke ich, dass ich meine Brille verloren hatte. Ich fing an nach meiner Brille in dem Dreck und Schlamm zu suchen. Wir sagten den Soldaten, dass ich meine Brille verloren hätte. Sie fingen auch an meine Brille zu suchen, sie machten Licht und nach einigen Minuten fanden wir die Brille.

Trotz unserer massiven Proteste sind wir gezwungen gewesen zurück zu kehren. Auf dem Rückweg konnten wir wenigstens Licht anmachen. Man hatte mir am Nachmittag glücklicherweise eine kleine Taschenlampe in die Tasche gesteckt. Mit dem Kommentar: nimm sie einfach als Erinnerung mit. Ansonsten hatte keiner von uns eine Lichtquelle mit.

Wir sind den Berg hochgeklettert, ohne die Spur des Wegweisers auch nur eine Fußbreite zu verlassen. Nach 1,5 Stunden sind wir endlich oben mit den letzten Kräften und verdreckt mit zum Teil zerrissenen Hosen angekommen. Oben angekommen ging das Theater mit dem Lehmigen Boden und Schweren Schuhen wieder los.

Als wir die den lehmigen Boden verließen, stand schon ein Auto bereit, dass auf uns wartete. Der Dorfvorsteher wartete bereits mit seiner Frau an der Haustür auf uns. Wir gingen in den Hof und dort hatte die Ehefrau Pyjamas für uns bereit gelegt. Sie ahnte wohl, in welchem verdreckten Zustand unsere Kleidung war. Wir haben unsere Sachen gewechselt und die Hausfrau hat bereits unsere Hosen ausgewaschen. Sie bat uns auch ein Bad zu nehmen. Wir haben natürlich dankend abgelehnt, weil wir nicht wussten, wie es weiter gehen sollte.

Im Wohnzimmer wartete bereits der wärmende Ofen auf uns. Darauf kochte Wasser in einer kleinen Teekanne (ähnlich einem Samowar). Wir tranken Tee und wärmten uns, denn wir waren sehr unterkühlt und hungrig. Wir aßen etwas, bevor wir uns nun wieder unserem Problem widmeten. Wir machten den Gastgeber klar, dass wir unter allen Umständen um spätestens 12 Uhr in Adana am Flughafen sein müssen. Ich glaube es war zu diesem Zeitpunkt bereits nach Mitternacht. Wir haben nach der Uhrzeit nicht mehr geschaut. Der Gastgeber fing an herum zu telefonieren. Er schien gute Verbindungen zu haben. Er hat alle illegalen Grenzpunkte angefragt, wo die Möglichkeit bestünde, in dieser Nacht noch bis 8 Uhr früh über die Grenze zu gelangen. Um 1: 30 Uhr sagte er uns, wir sollten uns alle hinlegen und versuchen etwas zu schlafen. Unsere Hosen hingen über mehreren Stühlen zum Trocknen in der Nähe des Ofens. Gegen 2:00 Uhr klingelte das Handy vom unserem Gastgeber. Er sprach kurz und legte auf. Er sagte uns, dass wir um 5:00 Uhr früh an einem Grenzstreifen etwa 20-30 km östlich von hier sein müssten. An diesem Grenzstreifen würde ein Schichtwechsel der Soldaten sein und hier könnten wir diese Gelegenheit nutzen, um auf die andere Seite zu gelangen. Das Gelände dort wäre auch nicht so schwierig beschaffen. Während der Morgendämmerung sei es nicht so dunkel, so dass man sicher laufen könne.

Bei diesen optimistischen Ansagen des Hausherren konnten wir uns wieder etwas ausruhen. Denn von Schlafen war in diesem Zustand nicht die Rede, bevor wir nicht sicher über die Grenze gekommen wären.

Gegen 2:30 Uhr sind wir aufgestanden, tranken schnell Tee, zogen unseren halb nassen Hosen an und haben uns bei der sehr gastfreundlichen und netten Hausfrau herzlich verabschiedet und für alles gedankt. Wir stiegen in ein Auto und der Gastgeber fuhr langsam auf Umwegen und durch verschlafene Dörfer bis wir so gegen 4:30 Uhr an einem Haus am Rande des Dorfes halt machten. Wir warteten einigen Minuten, als ein Mann an die Fensterscheiben klopfte. Unser Fahrer stieg aus und begrüßte den Man herzlich und nach einem kurzen, leisen Gespräch, gab er uns ein Zeichen auszusteigen. Man übergab uns dem Fremden Mann, der uns durch die Morgendämmerung über die Grenze führen sollte. Man verabschiedete sich leise herzlich und versprach sich gegenseitig sich im Kontakt zu bleiben. Ein weiterer Wegführer stieß zu uns. Dieser war ein etwa 40 jähriger, groß gewachsener Mann in Armeekleidung. Er gab uns den Befehl, hinterher ihm her zu laufen. Unser Begleiter ging hinter ihm, dann meine Kollegin und als letzter ich. Die Erde war nicht mehr nass in dieser Gegend. Wir liefen durch einer Gelände, dass von Gebüsch bewachsen war. Ab und zu gab er uns ein Zeichen zu halten. Er ging allein voraus, kam ca. 5 Minuten später zurück und wir durften wieder mit ihm 50m weiterlaufen. So vergingen etwa 30 Minuten. Der neue Wegführer sprach kurz mit unserem Begleiter und zeigte ihm ein schwach beleuchtetes Haus in 300 m Entfernung. Dann verschwand er ohne sich von uns zu verabschieden. Unser Begleiter gab uns ein Zeichen zu folgen und ging in ca. 10 m Entfernung vorwärts an einem Gebüschen vorbei, über runter gedrückten Stacheldraht und dann nach einem etwa 70cm tiefen Graben wieder rauf. Er hielt kurz und ging weiter und wir folgten ihm. Wir sahen rechts von uns Scheinwerfer eines Fahrzeuges, die wahrscheinlich zu einem Armeefahrzeug gehörten. Wir versteckten uns kurz hinter einem Busch und gingen dann weitere 30m zu einer Straßenlaterne.

Nach weiteren 20m standen wir vor einem Haus mit einer Steinmauer und mit offenem Tor. Unser Wegbegleiter ging hinein und wir mit ihm. Wir waren in einem offenem Zimmer. Das Licht der Straßenlaterne leuchtete den ganzen Hof aus und durch das Fenster auch in das Zimmer. Unser Begleiter sagte, dass wir jetzt sicher über der Grenze seien. Ich schaute mich im Zimmer um, dass voll mit Papier und Kartonresten Stand. An den Seiten standen zwei heruntergekommene Liegen.

Wir hielten uns weiterhin ruhig. Nach 10 Minuten kam ein Mann in das Zimmer. Er grüßte uns kurz und sagte, wir sollten hier bleiben und er käme in 5 Minuten wieder. Wir waren natürlich erleichtert, dass nun alles vorbei wäre. Als der Mann kam, gingen wir mit ihm und stiegen in ein Auto. Wir und fuhren vom Haus aus auf die Straße. Unser Begleiter saß vorn neben dem Fahrer und sagte ihm, wo wir unser Auto vor zwei Tagen geparkt hatten. Als wir dort nach 20 km ankamen, stand unser Auto noch unberührt da. Ich gab dem Fahrer etwas Geld und dann sind wir umgestiegen und die Fahrt ging weiter in Richtung Islahye.

Es muss es ungefähr gegen 7:00Uhr gewesen sein. Nach einer Stunde kamen wir in Islahye an. Unterwegs sind wir einmal durch den Zoll kontrolliert worden. In Osmaniye, sagte unser Begleiter, sei ein Flüchtlingslager für arabische Flüchtlinge. Als wir in der Nähe waren, bat ich ihn, etwas langsamer zu fahren. Ich wollte schnell einige Fotos schießen. Das 'Flüchtlingslager' sah aus wie ein schwer bewachtes Militärobjekt mit vielen Polizisten an der Pforte. Die Anlage war mit einem Zaun gesichert. Von außen sah man nur einige Zelte, sonst nichts. Als ich anfing zu fotografieren merkte ich , dass zwei Uninformierte in unsere Richtung rannten. In diesem Moment fuhr unser Fahrer so schnell wie er konnte. Wir sahen die Uniformierten hinter uns auf uns zu zeigen. Wir waren aber schon so weit entfernt, dass sie unser Kennzeichen nicht sehen konnten. An dieser Stelle machte ich mir Gedanken darüber, dass wir nun so viele Flüchtlingslager bis jetzt besucht hatten, die ohne jeglichen Bewachung oder Schutz waren. Was unterscheidet dieses Lager von den anderen? Ich konnte mir jedenfalls denken, aber beweisen kann ich es nicht, dass dort eventuell Leute ausgebildet oder geschult werden. Aber wer sind diese Flüchtlinge? Unser Fahrer und Begleiter erzählte uns während der Fahrt, dass dort nur arabische Flüchtlinge seien. Man erzählt in der Gegend, dass jeder Flüchtling 40 US Dollar monatlich bekäme und zusätzlich werden sie regelmäßig verpflegt. Als wir in Islahye ankamen, machten wir uns schell frisch, packten unsere 7 Sachen zusammen und tranken etwas heißes.Wir sind mit dem Auto in Richtung Adana unterwegs. Es sind ca. 200km, also 2,5 Stunden Fahrt bis zum Flughafen. Unterwegs hatten wir noch eine Reifenpanne. Wir mussten halten. Unser Fahrer sagte, er habe noch nie einen Reifen gewechselt. Ich fing an das Werkzeug im Kofferraum zu suchen und gleich den Wagenheber unter das Auto zu schieben, als ein LKW Fahrer, der an uns vorbei fahren wollte, anhielt. Unser Fahrer sprach ihn an, ob er uns helfen könne. Er Fahrer des LKW stieg aus und wechselte professionell den Reifen. Wir bedankten uns bei dem LKW Fahrer und stiegen wieder in das Auto. Der LKW Fahrer sagte noch, wir sollten nicht zu schnell fahren. Unterwegs mussten wir in dem nächsten Ort anhalten und ich mussten schnell von einem Straßenhändler ein paar Schuhe für meine Kollegin kaufen, da ihre verdreckt und durchnässt waren.

In den letzten 24 Stunden hatten wir genug Pech und Pannen erlebt. Nun hoffte ich, das alles klar gehen würde. Gegen 11Uhr kamen wir an dem Flughafen an. Wir bedankten uns bei unserem Freund, der uns vom Anfang bis zu letzten Minute begleitete. Er war uns Freund, Begleiter, Fahrer und Fürsorger gewesen. Wir sind im Flughafen schnell durch die Sicherheitskontrollen und checkten ein, denn wir hatten nur Handgepäck. Unser Flugroute führte uns über Istanbul nach Berlin, wo ich am frühen Abend landeten.

In Istanbul waren wir pünktlich angekommen und sind dort gleich zum Internationalen Flughafen gelaufen. Nach der Gepäck und Passkontrolle trennten meine Kollegin und ich uns. Wir wollten uns am Gate treffen. Meine Kollegin kam aber nicht. Als letzter betrat ich das Flugzeug und flog ohne sie ab. Man kann sich nicht vorstellen wie traurig und verstimmt ich war. Ich war den Tränen nahe. Ich glaube, meine Augen wurden etwas feucht. Sie ist mit dem nächsten Flugzeug nach Berlin geflogen. Sie sagte mir am nächsten Tag telefonisch, dass sie knapp zu spät am Gate gewesen wäre.

Im Flughafen Tegel angekommen, holten mich meine Frau und ein Paar Freunde ab. Ich merkte erst jetzt wie froh ich war, wieder in Berlin zu sein.

Am nächsten Tag sah ich erst, dass ich mehrere Blutergüsse, Abschürfungen und Prellungen erlitten hatte, die ich vorher nicht gespürt hatte. Meine Kollegin erzählte mir später das gleiche. Auch sie hätte diese Verletzungen. Wir trafen uns 3 Tage später bei einer Veranstaltung über unsere Reise und versprachen uns, im nächsten Jahr erneut eine Reise dorthin zu unternehmen. In der Hoffnung, dann offiziell über die Grenze nach Rojava zugehen.

Ich hoffe, wir haben durch unsere nicht ungefährliche Reise, etwas für die notleidenden Menschen und deren Kindern geleistet. Aber auch für uns, da wir der Ansicht sind etwas für unser Gewissen gegenüber den Flüchtlingen aus unserem Land Kurdistan etwas erreicht zu haben. Wir werden weiterhin unsere Bemühungen und unsere tagtägliche Arbeit dafür nutzen, dass die Menschen Hierzulande aber auch in Europa und in der ganzen Welt erfahren, wie die Dinge in unserem Heimat tatsächlich sind. Und wir müssen alle darüber informieren, wie die Barbaren und die Gottlosen 'IS' Verbrecher in unserem Land wüten, aus dem einen Grund, weil die Kurden gemäßigte und Tolerante Menschen sind.

Wir wünschen uns, dass wir den notleidenden Menschen zu besseren Lebensbedingungen verhelfen können und vor allem, dass die Kinder eine Chance auf echte Teilhabe in ihrem Leben bekommen. Ich wünsche uns außerdem einen langen Atem und wünsche ein ereignis- und aktionsreiches Jahr 2015.


Im Anschluss möchte ich an dieser Stelle bei allen bedanken, die uns bei dieser Reise begleitet, den richtigen Weg gezeigt und bewirtet haben. Vor allem unserem Lieben Sherzad gilt mein Dank, der uns immer bei Seite gestanden hat und uns immer bei unseren Aktionen in der Heimat im unserem Auftrage treu hilft.


Berlin, den 14.12.2014

Rassoul Faki